Immobilien- & Baurecht
Ein Schritt in die richtige Richtung oder ein weiterer komplexer Baustein im „Nachhaltigkeitsdschungel“? – Die Abschlussempfehlung des Sustainable Finance Beirats der Bundesregierung zur Einführung einer „ESG-Skala“ für Finanzprodukte
1. Einleitung
Im Mai 2021 hat die Bundesregierung die „Deutsche Sustainable Finance Strategie“ veröffentlicht. Diese Strategie verfolgt nachhaltigkeitsbezogene Ziele, beispielsweise das Thema Sustainable Finance weltweit und europäisch voranzubringen, den Finanzstandort Deutschland zu stärken, Transformation zu finanzieren und Nachhaltigkeitswirkung zu verankern. Um diese Ziele zu erreichen, skizziert die Bundesregierung 26 Maßnahmen – unter anderem die Einführung einer „Nachhaltigkeitsampel“ für Anlageprodukte. Die Idee ist, hiermit eine höhere Transparenz für diejenigen Verbraucher*innen zu schaffen, die sich für Finanzprodukte mit Nachhaltigkeitsmerkmalen interessieren.
Die Sustainable Finance Strategie der Bundesregierung ist im Kontext der europäischen Nachhaltigkeitsregulierung zu sehen: Die „Offenlegungsverordnung“ (Verordnung (EU) 2019/2088 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. November 2019 über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor) sowie die „Taxonomieverordnung“ (Verordnung (EU) 2020/852 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2020 über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen und zur Änderung der Verordnung (EU) 2019/2088) geben derzeit den Rahmen für Finanzmarktteilnehmer, die Finanzprodukte mit Nachhaltigkeitsmerkmalen auf den Markt bringen, vor. Ergänzt wird dies durch Vorgaben der Delegierten Verordnungen zur Markets in Financial Instruments Directive, „MIFID II“ (Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014) bzw. der Versicherungsvertriebsrichtlinie, „IDD“ (Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Januar 2016 über Versicherungsvertrieb), die in diesem Zusammenhang die Regeln für den Vertrieb entsprechender Produkte vorgeben. Dazu kommen weitere Vorgaben auf nationaler Ebene wie beispielsweise in Deutschland das Verbändekonzept zum MIFID-Zielmarkt.
Vor diesem regulatorischen Hintergrund hat der Sustainable Finance Beirat der Bundesregierung im Februar 2024 ein mögliches Konzept für eine „ESG-Skala“ für Finanzprodukte vorgestellt. Der Sustainable Finance Beirat (im Folgenden „der Beirat“) ist ein Gremium mit Mitgliedern aus Realwirtschaft, Finanzwirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft, der die Bundesregierung (fachlich unterstützt von Beobachter*innen) bei der Weiterentwicklung und Umsetzung ihrer Sustainable Finance Strategie unterstützt.
2. Ziel
Ausgangspunkt der Überlegungen des Beirats ist es, die Information von Kleinanleger*innen zu verbessern, um mehr Transparenz zu schaffen und so die Welt der nachhaltigen Geldanlage auch für Private weiter zu öffnen. Eine ESG-Skala soll Kleinanleger*innen die Möglichkeit verschaffen, sich einen einfachen verständlichen Überblick über Nachhaltigkeitsmerkmale eines Finanzprodukts zu verschaffen und Finanzprodukte hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeitsmerkmale zu vergleichen. In einen größeren Kontext eingeordnet trägt dies dem Gedanken Rechnung, dass die Transformation zu einer nachhaltigeren Wirtschaft nur dann funktionieren kann, wenn Kapital zielgerichtet investiert wird.
3. Ausgestaltung / Mögliche Inhalte
Der Beirat schlägt vor, die ESG-Skala in das Basisinformationsblatt / PRIIPs-KID zu integrieren. Kleinanleger*innen (in Deutschland also Privatanleger*innen und semi-professionellen Anleger*innen) müssen dieses Dokument vor dem Erwerb von verpackten Anlageprodukten und Versicherungsanlageprodukten europaweit erhalten. Unter die Kategorie der „verpackten Anlageprodukte“ fallen beispielsweise auch offene und geschlossene Immobilienfonds.
Angedacht ist eine Darstellung in Form einer Skala mit den Stufen „A“ bis „F“. Für die Einordnung in diese Stufen soll die letzte verfügbare Quote von nachhaltigen Investitionen nach der Offenlegungsverordnung und / oder ökologisch nachhaltigen Investitionen nach der Taxonomieverordnung relevant sein, die im Rahmen der periodischen Berichterstattung (z.B. dem Jahresbericht) ausgewiesen wird. Der Beirat regt an, bei der Berechnung der Quoten eine durchschnittsbezogene Berechnung auf den Bewertungszeitraum (i.e. in der Regel das jeweilige Geschäftsjahr) vorzunehmen. Damit würden stärkere Schwankungen vermieden, die Produktneutralität der ESG-Skala sichergestellt und das Produkt realitätsnah dargestellt. In Ergänzung dazu sollten diejenigen Mindestquoten, die sich die Finanzmarktteilnehmer in vorvertraglichen Informationen als Ziel gegeben haben, zu Informationszwecken ebenfalls Eingang in die ESG-Skala finden. Ist ein Produkt neu, und gibt es demzufolge noch kein periodisches Reporting, so sollen diese Mindestquoten auch als Grundlage für die Einordnung in die ESG-Skala dienen.
Der Beirat schlägt die folgende Darstellung vor:
Die dargestellten Stufen sollen hierbei wie folgt aufgeteilt werden:
A: Hohe Quote an ökologisch nachhaltigen Investitionen (gemäß EU-Taxonomie) und/oder nachhaltigen Investitionen (gemäß SFDR) sowie Berücksichtigung der wichtigsten nachteiligen Auswirkungen (PAI)
B: Mittlere Quote an ökologisch nachhaltigen Investitionen (gemäß EU-Taxonomie) und/oder nachhaltigen Investitionen (gemäß SFDR) sowie Berücksichtigung der wichtigsten nachteiligen Auswirkungen (PAI)
C: Niedrige Quote an ökologisch nachhaltigen Investitionen (gemäß EU-Taxonomie) und/oder nachhaltigen Investitionen (gemäß SFDR)
D: Produkt, das die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren berücksichtigt
E: Produkt folgt einer ESG-Strategie bzw. stellt Transparenz über Nachhaltigkeitsrisiken sicher, erfüllt aber nicht die Kriterien für den ESG-Zielmarkt nach MiFID II/IDD
F: Non-ESG bzw. Keine Angaben/Daten oder als nicht-nachhaltig deklariertes Produkt
Der Beirat stellt in diesem Kontext die Überlegung an, dass die Stufen A bis D Produkte umfassen sollen, die für Anleger mit Nachhaltigkeitspräferenzen nach der MIFID II bzw. der IDD geeignet sind. Dies ist anhand der europäischen Vorgaben grundsätzlich zutreffend, es muss aber im Blick behalten werden, dass es hinsichtlich des geeigneten Zielmarkts auch nationale Konzepte gibt, die die europäischen Vorgaben konkretisieren. Inwieweit dann die ESG-Skala in jedem EU-Mitgliedstaat passgenau die Vorgaben für Anleger*innen mit Nachhaltigkeitspräferenzen abbildet, bleibt abzuwarten.
Offen bleibt auch, was unter einer „hohen“, „mittleren“ oder „niedrigen“ Quote von nachhaltigen bzw. taxonomiekonformen Investitionen zu verstehen ist. Der Abschlussbericht enthält hierzu die Aussage, dass keine Prozentsätze vorgeschlagen würden, da es derzeit noch an einem gemeinsamen Verständnis für die Berechnung von Quoten nachhaltiger Investitionen fehle. Dieser Ansatz ist grundsätzlich zu begrüßen, da eine verbindliche Quote nur dann Sinn macht, wenn sie mit anderen regulatorischen Vorgaben im Einklang steht. Da aber derzeit beispielsweise für die Nachhaltigkeitsangaben im Verkaufsprospekt eines Fonds eben gerade keine festen Quoten vorgegeben sind, und die Anbieter selbst Mindestquoten vorgeben, könnte eine feste Vorgabe für die Stufen der ESG-Skala irreführend für die Anleger*innen sein. Hier bedarf es eines Gleichlaufs in der Regulierung.
4. Chancen, Herausforderungen und Ausblick
Die vom Beirat vorgeschlagene Einführung einer ESG-Skala ist eine spannende Idee, die einen guten Beitrag zu mehr Transparenz und Vergleichbarkeit im Bereich der nachhaltigen Finanzprodukte leisten kann: So kann eine graphische Übersicht Verbraucher*innen auf den ersten Blick anschaulich verdeutlichen, zu welchem Grad ein Finanzprodukt nachhaltig ist. Diese deutliche Darstellung kann auch im Vertrieb hilfreich sein, gibt sie doch Beratern die Möglichkeit, ihre Beratung auf einer deutlichen Grafik aufzubauen und potenziellen Anleger*innen einen guten ersten Überblick zu verschaffen. Allerdings darf in diesem Zusammenhang ein wichtiger Aspekt nicht außer Acht gelassen werden: Eine drucktechnisch hervorgehobene Skala kann auch das Risiko erhöhen, dass ein Finanzprodukt von potentiellen Anleger*innen zu schnell als „grün“ oder „nicht grün“ eingestuft wird, und dass eine eingehende Beschäftigung mit allen vorvertraglichen Informationen, die in ihrer Gesamtheit zu einer abschließenden Beurteilung von Nachhaltigkeitskriterien erforderlich sind, ausbleibt.
Darüber hinaus besteht das Risiko, dass die Komplexität des PRIIPs-KID erhöht wird: Derzeit enthalten PRIIPs-KID bereits an einigen Stellen Kennziffern, die insbesondere für Privatanleger nur schwer zu bewerten und vergleichen sind. Ein weiterer Baustein erhöht Umfang und Inhalt des Dokuments um einen weiteren Faktor – ob dies dazu führt, dass Privatanleger*innen trotzdem das PRIIPs-KID als maßgebliches Grundlage für eine informierte Anlageentscheidung nutzen, ist schwer zu sagen.
In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass der Vorschlag des Beirats, im PRIIPs-KID neben den tatsächlichen Quoten auch noch die in den vorvertraglichen Informationen festgelegten Mindestquoten anzugeben, die Gefahr von Missverständnissen bei den Anleger*innen birgt. Raum für Missverständnisse oder eine mögliche Irreführung des Anlegers birgt auch die Idee, bei neu aufgelegten Fonds die Mindestquoten als Basis für die Einordnung des Produkts auf der ESG-Skala zu nutzen. Dies müsste dann besonders deutlich gekennzeichnet werden. Alternativ könnte bei neu aufgelegten Produkten auch bis zur Erstellung des ersten periodischen Reportings auf eine Einordnung in die ESG-Skala verzichtet werden.
Raum für Diskussion lässt auch die Frage, wie die in der ESG-Skala dargestellten Quoten zu berechnen sind. Der Beirat greift in seiner Beschlussempfehlung die Problematik auf, dass eine Durchschnittsbetrachtung über den Berichtszeitraum eines periodischen Reportings wünschenswert, aber nach dem Wortlaut der SFDR auch eine Stichtagsbetrachtung denkbar sei. Damit ein Gleichlauf der Quoten von periodischem Reporting und der ESG-Skala sichergestellt ist, muss erst einmal auf EU-Ebene eine Klarstellung dahingehend erfolgen, welche Berechnungssystematik die zutreffende ist. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass die Quoten aus periodischem Reporting und der ESG-Skala nicht konsistent sind.
Derzeit wird nicht nur die PRIIPs-Verordnung im Rahmen der EU-Kleinanlegerstrategie überarbeitet, sondern es werden auch mögliche Änderungen der Offenlegungsverordnung konsultiert. Ob vor diesem Hintergrund die ESG-Skala in der Fassung des Abschlussberichtes in die europarechtlichen Level 1 Vorschriften der PRIIPs-Verordnung aufgenommen wird, bleibt abzuwarten. Fest steht jedenfalls, dass die ESG-Skala ein Schritt in die richtige Richtung im Hinblick auf mehr Transparenz für Verbraucher*innen sein kann. Leicht wird es aber nicht sein, diese Idee in den „Nachhaltigkeitsdschungel“ zu integrieren – baut die ESG-Skala doch auf einem System komplexer europarechtlicher Regelungen auf, die sich derzeit selbst im Wandel befinden. Es bleibt also weiterhin spannend wohin die Reise der Nachhaltigkeitsregulierung gehen wird.