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Die AGB-Falle – wer keine rechtssicheren AGB verwendet, geht leer aus!
Besprechung von EuGH, Urteil vom 08.12.2022 C-625/21 (VB/Gupfinger Einrichtungsstudio GmbH)
Der Schutz von Verbrauchern vor missbräuchlichem Verhalten durch Unternehmen ist ein zentrales Anliegen der Europäischen Union. Bereits im Jahr 1993 hat diese daher eine Richtlinie erlassen, nach der bestimmte, als besonders unausgewogen geltende Vertragsklauseln gegenüber Verbrauchern innerhalb der gesamten EU nicht verwendet werden dürfen. Davon ausgehend ist über die Jahre eine enorme Sammlung von Entscheidungen zu im B2C-Bereich unzulässigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) entstanden.
Besonders weitgehend ist die nunmehr vorliegende Entscheidung des EuGH:
Um was ging es?
Im Streitfall plante ein Verbraucher den Erwerb eines Grundstücks. Bevor der Erwerb endgültig abgeschlossen war, kaufte er bereits bei einem österreichischen Einrichtungsstudio eine Einbauküche. Der Kauf des Grundstücks scheiterte dann aber später und der Kunde stornierte den Kauf der Einbauküche.
Die AGB des Einrichtungsstudios enthielten für diesen Fall folgende – nicht ungewöhnliche – Klausel: Wenn der Kunde ohne, dass es einen Anspruch auf Rückabwicklung gibt, vom Vertrag zurücktritt oder dessen Aufhebung begehrt (storniert), konnte das Einrichtungsstudio wahlweise Schadensersatz in Höhe von pauschal 20 % des Verkaufspreises oder – auf Nachweis – den tatsächlich entstandenen Schaden verlangen. Das Einrichtungsstudio konnte also unter diesen beiden Optionen wählen, ob sie die Pauschale als Mindestsumme geltend machen oder – wenn der tatsächliche und nachweisbare Schaden höher ist – diesen verlangen.
Nach dem österreichischen ABGB (ebenso wie im deutschen Recht) muss ein tatsächlicher Schaden durch Fehlverhalten des Vertragspartners grundsätzlich immer ersetzt werden, auch wenn diesbezüglich nichts zwischen den Parteien vereinbart wurde. Die AGB enthielten also lediglich eine zusätzliche „Verbesserung“ für das Einrichtungsstudio, nämlich die Möglichkeit, statt des Nachweises eines konkreten Schadens eine Schadenspauschale von 20 % des Verkaufspreises zu verlangen.
Im entschiedenen Fall machte das Einrichtungsstudio den tatsächlich angefallenen Schaden geltend. Dagegen wehrte sich der Kunde mit dem Argument, die AGB seien unwirksam. Bereits die österreichischen Gerichte hatten daraufhin entschieden, dass die Pauschale von 20 % tatsächlich zu hoch und damit unzulässig ist. Der Kunde machte aber geltend, das Einrichtungshaus müsse sich – weil es eine unzulässige Klausel verwendet hatte –diese auch im Negativen entgegenhalten lassen und seine Erstattungspflicht sei deshalb auf die 20 % beschränkt. Das Einrichtungsstudio argumentierte dagegen, das Recht auf volle Erstattung des tatsächlichen Schadens sei gesetzlich vorgeschrieben und unabhängig von den AGB, daher sei nur die unzulässige Schadenspauschale nicht anzuwenden, stattdessen aber das gesetzliche Recht, das den vollen Schaden auf Nachweis zuspricht.
Was entschied der EuGH?
Die Frage war also, was an Stelle der unzulässigen AGB-Klausel gelten sollte. Der EuGH hat dafür eine eigene Lösung gefunden und (auch für deutsche Gerichte verbindlich) äußerst kundenfreundlich entschieden:
Weil der Unternehmer eine unzulässige AGB-Klausel verwendet hatte, sei – erstens – diese insgesamt nicht anwendbar und – zweitens – auch das gesetzliche Recht, das mit der AGB-Klausel „verbessert“ werden sollte, nicht. Stattdessen verliert das Unternehmen seine Ansprüche und bleibt vollständig auf seinem Schaden sitzen.
Dieses Ergebnis begründet der EuGH folgendermaßen:
- Nach Ansicht des EuGH führt die Kombination – Wahlrecht des Unternehmers, entweder die 20 % Pauschale oder den tatsächlichen Schaden zu verlangen –zu einem erheblichen Ungleichgewicht zwischen den Vertragsparteien. Der Teil, der nur das gesetzliche Recht wiedergibt, sei zwar für sich genommen in Ordnung. Weil der Unternehmer aber wählen kann, welche der beiden Optionen für ihn vorteilhafter ist, sieht der EuGH die AGB-Klausel als eine zusammenhängende Einheit an, die nicht in ihre beiden Bestandteile getrennt werden kann. Sie ist damit durch den unzulässigen Teil „infiziert“ und insgesamt unzulässig.
- Anstelle der unzulässigen Klausel darf aber auch nicht das gesetzliche Recht angewendet werden - zur Begründung führt der EuGH an: Die Verbraucherschutz-Richtlinie der EU aus dem Jahr 1993 schreibt vor, dass „der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt“ werden soll (Art. 7 Abs. 1 RL 93/13/EWG). Diese drastische Folge, also das Verbot, auf die gesetzlich bestehenden Rechte zurückzugreifen, soll daher einen Abschreckungseffekt sicherstellen.
Was ist neu und was bedeutet das für betroffene Unternehmen?
- Wer in seinen AGB Verbrauchern unzulässige Kosten auferlegt oder die Haftung der Kunden unzulässig regelt, soll als „Strafe“ und Abschreckung seinen Schaden zur Gänze selbst tragen müssen, auch, wenn es eigentlich auch eine gesetzliche Grundlage für einen Schadenersatz gibt.
- Wenn ein verbundener Teil einer AGB-Klausel unzulässig ist, ein anderer aber eigentlich zulässig, kann der zulässige Teil nicht bestehen bleiben, sondern wird mit „infiziert“. Die Gestaltung und Formulierung sind daher in Zukunft besonders sorgfältig zu überprüfen. Das ist besonders bemerkenswert, weil der deutsche Bundesgerichtshof (BGH) bislang den sogenannten „Blue-Pencil-Test“ für AGB anwendet: Wenn zwei Bestandteile einer AGB-Klausel inhaltlich trennbar sind und nach Streichung des unzulässigen Teils der zulässige für sich allein stehen bleiben kann, wurde nur der unzulässige Teil verworfen; der zulässige Teil blieb anwendbar. Es gab bereits länger Zweifel, ob diese Praxis des BGH mit der Ansicht des höherrangigen EuGH vereinbar ist. Diese klare Ansage des EuGH dürfte in Zukunft daher einige neue Problemfälle für den BGH schaffen.
Insbesondere Unternehmen, die direkt im Verbrauchergeschäft tätig sind (auch z.B. mit Webshops), ist nach dieser Entscheidung zu raten, die eigenen AGB rechtssicher überprüfen zu lassen. Fällt die Unwirksamkeit erst in einem Streitfall auf, kann es bereits zu spät sein.
Doch auch Unternehmen, die nur im kaufmännischen Bereich (B2B) tätig sind, sollten die Entwicklungen stets aufmerksam verfolgen. Denn viele im B2C-Bereich unzulässige AGB-Klauseln stehen auch im B2B-Bereich unter Beobachtung. International gesehen ist die deutsche Rechtsprechung in der AGB-Kontrolle im B2B-Bereich auch besonders streng.
Hinweis: Hier handelt es sich um eine vereinfachte und zusammenfassende Darstellung der Rechtsprechung, die allein dazu dient, dem Leser einen Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen zu verschaffen. Keinesfalls kann dies eine individuelle Beratung ersetzen.